Was in Säuglingsanfangsmilch enthalten sein sollte
Säuglingsanfangsmilch ist ein sehr sensibles Thema. Sensibel, weil viele ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie zur Säuglingsanfangsmilch (auch Formula oder kurz Pre genannt) greifen (müssen). Eines muss euch klar sein: Ihr seid keine schlechteren Eltern, nur weil euer Kind keine Muttermilch bekommt. Denn:
Die Wahl der Nahrung im ersten Lebensjahr sagt überhaupt gar nichts über eure Liebe, Zuneigung oder Bindung zu eurem Kind aus!
Wichtiger Hinweis nach Artikel 11 der DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2016/127:
Stillen ist das Beste für dein Baby, denn Muttermilch versorgt das Baby mit allen wichtigen Nährstoffen. Darüber hinaus ist Stillen die preiswerteste Art der Ernährung, ein guter Schutz vor Infektionen sowie Allergien und fördert die Mutter-Kind-Beziehung. Frühes und häufiges Anlegen unterstützt den Milchfluss und eine ausgewogene Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit begünstigt das Stillen. Die Entscheidung, nicht zu stillen, kann nur schwer rückgängig gemacht werden und das Zufüttern von Säuglingsanfangsnahrung kann den Stillerfolg beeinträchtigen. Bitte beachte beim Gebrauch der Säuglingsnahrung genau die Zubereitungsanleitung und auch die Hinweise auf der Packung, da eine unsachgemäße Zubereitung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Hilfe und Stilltipps kannst du dir bei deiner Hebamme oder deiner/m Stillberater/in einholen. Ich bin von den Vorteilen des Stillens für Mutter und ihr Kind überzeugt und befürwortet das Stillen nach den Empfehlungen der WHO uneingeschränkt.
Was ist in Säuglingsanfangsmilch?
Säuglingsanfangsmilch, auch als Anfangsnahrung oder Pre-Milch bezeichnet, ist eine spezielle Form von Säuglingsmilchnahrung, die für Säuglinge in den ersten Lebensmonaten entwickelt wurde. Diese Milchprodukte sind darauf ausgerichtet, die Ernährungsbedürfnisse von Neugeborenen zu erfüllen, wenn Muttermilch nicht verfügbar ist oder nicht ausreichend gegeben werden kann (oder andere Gründe).
Säuglingsanfangsmilch enthält in der Regel eine ausgewogene Mischung von Nährstoffen, die dem Bedarf eines Säuglings in den ersten Lebensmonaten entsprechen sollen. Dazu gehören Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Vitamine und Mineralstoffe
Wichtig hier: Die sicherste und einzige Ernährungsalternative zu Muttermilch ist Säuglingsanfangsnahrung. Weder Muttermilch anderer Spezies (von beispielsweise Kuh, Ziege oder Hund) noch pflanzliche Milch können die wichtigen und lebensnotwendigen Inhaltsstoffe liefern, die euer Kind im ersten Lebensjahr für eine gesunde Entwicklung benötigt.
Seit Februar 2022 müssen alle Säuglingsanfangsnahrungen die gleichen Anforderungen hinsichtlich der Nährstoffe erfüllen. n. Mehr dazu im Beitrag „DIE NEUE EU-VERORDNUNG FÜR SÄUGLINGS- UND FOLGENAHRUNG„
Das bedeutet, die Hersteller sind verpflichtet, folgende Nährstoffe ihrer Säuglingsanfangsmilch beizufügen:
- Energie: Brennwert zwischen 60 und 70 kcal
- Kohlenhydrate: zwischen 9 und 14 g/100 kcal
- Fett: zwischen 4,4 und 6 g/100 kcal
- Proteingehalt:
- Kuhmilch/Ziegenmilch: zwischen 1,8 und 2,5 g/100 kcal
- Sojaproteinisolate: zwischen 2,25 und 2,8 g/ 100 kcal
- Proteinhydrosalate: zwischen 1,86 und 2,8 g/100 kcal
- Proteine: L-Carnitin (neu, vorher optional) und Cholin
- Essentielle Fettsäuren: wie Linolsäure, Alpha-Linolensäure und Docosahexaensäure (DHA, auch zu finden in „Fischöl“ oder „Öl aus der Mikroalge Schizochytrium sp.“)
- Mineralstoffe
- Vitamine
- Inositol
Optionale Inhaltsstoffe in Säuglingsanfangsmilch sinnvoll?
Es gibt aber auch Inhaltsstoffe, die in Säuglingsanfangsnahrung enthalten sein können, aber nicht müssen. Auch sie sind in der Verordnung aufgeführt
- Arachidonsäure (AHA, ARA, AA): Da Arachidonsäure aktuell kein verpflichtender Inhalsstoff ist, muss er nicht explizit in der Nährstofftabelle gelistet werden. Viele Säuglingsnahrungen enthalten dennoch ARA, zu finden in der Zutat „Öl aus Mortierella alpina“ (eine Pilzart) oder „Öl aus der Mikroalge Schizochytrium sp.“
- Ballaststoffe/Präbiotika: Fructooligosaccharide (FOS) oder Galactooligosaccharide (GOS) sowie Lacto-N-Neotetraose
- Probiotika (Bakterienkulturen) wie z.B. Lactobacillus
- Taurin
- Nukleotide wie Cytidin-, Uridin-, Adenosin-, oder Guanosinmonophophat
Arachidonsäure – (noch) nicht verpflichtend, aber wichtig
ARA ist eine ungesättigte Fettsäure in der Gruppe der Omega-6-Fettsäuren. Wir stellen die Fettsäure aus der essentiellen Aminosäure Linolsäure über die Zwischenstufen her oder nehmen sie über pflanzliche Öle oder tierische Lebensmittel zu uns. Zusammen mit der Docosahexaensäure (DHA, Omega-3-Fettsäure) übernimmt ARA eine Schlüsselrolle sowohl für die Entwicklung des Gehirns als auch für die Struktur und Funktion des menschlichen Gewebes im Säuglingsalter. Hierbei scheint es jedoch besonders wichtig zu sein, dass beide Omega-6-Fettsäriem (also auch die DHA) in gleichen Mengen enthalten sind. Mehrere Gremien haben Empfehlungen zur wünschenswerten Aufnahme von DHA und ARA im Säuglings- und frühen Kindesalter auf Grundlage einer Überprüfung der vorhandenen Evidenz herausgegeben. Sie empfehlen übereinstimmend die Zufuhr von DHA und ARA, wobei der DHA-Gehalt nicht höher sein sollte als der ARA-Gehalt: „Basierend auf den verfügbaren Informationen empfehlen wir, dass alle Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung sowohl DHA als auch ARA enthalten sollten. […] Der ARA-Gehalt in Säuglingsnahrung sollte dabei mindestens dem DHA-Gehalt entsprechen.
Hier Beispiel einer Säuglingsanfangsnahrung, in der ARA enthalten und der Gehalt DHA/ARA ausgeglichen ist:
Mein Fazit: Ich teile die Erkenntnisse der Wissenschaftler*innen, dass ARA enthalten sein sollte.
Wie wichtig sind Biotika, Taurin und Nukleotide?
Eine gesunde Darmentwicklung ist entscheidend im Säuglingsalter für das Wachstum und die Immunität. Eine ausgewogene Darmmikrobiota spielt eine Schlüsselrolle. Faktoren wie Entbindung, Antibiotikaeinsatz und Ernährung beeinflussen die Darmbesiedlung. Für eine optimale Zusammensetzung gilt die Darmmikrobiota eines gesunden, vaginal geborenen und gestillten Säuglings als Goldstandard. Einige Hersteller von Säuglingsanfangsnahrung setzen Biotika (Pro- oder Präbiotika), Taurin oder Nukleotide ein, um die Zusammensetzung menschlicher Milch zu imitieren, obwohl die Evidenz für ihre verpflichtende Verwendung fehlt.
Präbiotische Oligosacharide
Präbiotische Oligosacharide (Präbiotika) sind Ballaststoffe aus langkettigen Kohlenhydratketten, die weitgehend unverdaut durch den Verdauungstrakt gelangen. Im Dickdarm dienen sie als Nahrung für probiotische Bakterien, besonders Bifidobakterien. Die Fermentation dieser Oligosacharide durch diese Bakterien produziert kurzkettige Fettsäuren, die die Darmgesundheit fördern und entzündungshemmende Wirkungen haben. Bekannte Beispiele sind Inulin, Fructooligosaccharide (FOS) und Galactooligosaccharide (GOS).
2013 untersuchten niederländische Wissenschaftler*innen die Darmmikrobiota von gestillten und nicht gestillten Säuglingen. In der Säuglingsanfangsmilch der nicht gestillten Kinder war eine spezifische Mischung aus 90 % kurzkettigen Galacto-Oligosacchariden und 10 % langkettigen Fructo-Oligosacchariden enthalten. Sie konnten zeigen, dass diese GOS-/FOS-Mischung sich als sicher erwies und die Entwicklung der frühen Mikrobiota beeinflusst. So hatte sich die Menge an Bifidobakterien im Stuhl der Säuglinge, deren Anfangsnahrung GOS/FOS enthielt, erhöht, ähnlich wie es bei Säuglingen, die mit menschlicher Milch ernährt wurden, beobachtet wurde.
Leider wurden hier zu wenig Säuglinge in einem zu kurzen Zeitraum beobachtet, so dass die Ergebnisse der Wissenschaftler*innen keine Evidenz darstellen (die Hypothese also nicht als gesichert gilt). Auch andere Studien konnten bisher noch keine Evidenz für die Vorteile einer Zugabe von Präbiotika in Säuglingsanfangsmilch liefern und so bleibt die Zugabe von Oligosacchariden optional und nicht verpflichtend.
Mein Fazit: Präbiotika schaden nicht, es ist gut wenn sie enthalten sind, aber bisher gibt es keine Vorteile, wenn sie enthalten sind.
Probiotika
Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die dem Wirt einen gesundheitlichen Nutzen bringen, wenn sie in ausreichender Menge verabreicht werden. Die meisten probiotikahaltigen Säuglingsanfangsnahrungen enthalten Bifidobacterium spp. und/oder Milchsäurebakterien wie Lactobacillus spp., die in der Europäischen Union auf der Grundlage der QPS-Liste (engl.: Qualitative Presumption of Safety) von Bakterien allgemein als sicher für die Verwendung in Lebensmitteln angesehen werden.
Mein Fazit: Es gibt zwar Daten zu spezifischen Probiotika in Säuglingsnahrung, die mit einer großen Vielfalt an Studienergebnissen einhergehen, die gesundheitlichen Vorteile sind jedoch sehr belastungs- und krankheitsspezifisch. Und so gilt auch hier: Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen, die mit Probiotika angereichert sind, haben nach derzeitigem Kenntnisstand für gesunde Säuglinge keinen sicher nachgewiesenen Vorteil. Sie zählen daher zu den optionalen Inhaltsstoffen und sind keine verpflichtenden Zusätze in Säuglingsanfangsmilch.
Taurin
Taurin ist die am häufigsten vorkommende freie Aminosäure in der Muttermilch. Es gibt Hinweise darauf, dass Taurin eine wichtige Rolle bei der intestinalen Fettabsorption, der Leberfunktion und der auditiven und visuellen Entwicklung von Frühgeborenen oder Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht spielt.
Mein Fazit: Da Taurin keine essentielle Aminosäure ist (also vom Körper selbst hergestellt werden kann) und Beweise für einen Vorteil einer Anreicherung mit Taurin in Säuglingsanfangsnahrung bei voll ausgetragenen Säuglingen fehlen, ist die Zugabe von Taurin nicht nötig.
Nukleotide
Als Nukleotide werden die Grundbausteine von Nukleinsäuren sowohl in Strängen der Ribonukleinsäure (RNS) wie auch der Desoxyribonukleinsäure (DNS) bezeichnet. Vielleicht kann sich der ein oder andere von euch noch an den Biologieunterricht erinnern, als man die Buchstaben T, A, C oder G in dem DNS-Strang eingezeichnet hat. Das sind die Nukleotide.
Ihr werdet jedoch das Wort „Nukleotide“ nicht in der Liste der Inhaltsstoffe finden, da sie einzeln mit ihrer Bezeichnung bei den Zutaten gelistet werden. In Säuglingsanfangsnahrung dürfen laut Verordnung (EU) Nr. 609/2013 folgende Nukleotide zugesetzt werden:
- Adenosin-5‘-Monophosphat
- Cytidin-5‘- Monophosphat
- Guanosin-5‘-Monophosphat
- Inosin-5‘-Monophosphat
Mein Fazit: Nukleotide werden der Säuglingsnahrung zugesetzt, weil sie in der menschlichen Milch enthalten sind. Dabei ist aber der gesundheitliche Nutzen von Nukleotiden nicht klar. Denn nur, weil Nukleotide in der menschlichen Milch vorkommen, bedeutet das nicht, dass sie auch einen besonderen gesundheitlichen Nutzen. Sie könnten einfach ein Nebenprodukt des Körpers bei der Milchproduktion sein. Daher sehe ich sie auch eher als optionalen Inhaltsstoff und als nicht verpflichtend.